Reisetagebuch "Türkei"
20. Sept. 2018 - Tage: 300 km - Gesamt: 10.891 km - Eintrag: Michaela & Udo
Von Pamukkale nach Bergama (Pergamon)
Mutter Kaya kommt extra noch zum Winken runter, wie nett. Wo sie doch heute Morgen bis um halb elf mit dem „Kahvaltı“ auf uns gewartet hat, weil wir uns vom Anblick der weißen Wunderwelt Pamukkales nicht lösen konnten. Die Enduros verlassen den Ort durch den Hinterhof Richtung Karahayıt und wir können die ruhige Seite des famosen Sinterfelsens genießen. Keine Autoschlangen, kein Gedrängel und Gehupe, kein Volkssturm den Hang hinauf. Natürlich auch keine Terrassen mit Kalkwasserbassins und von den Ruinen der antiken Stadt Hierapolis „on top“ ist von dieser Seite aus auch nichts zu sehen. Trotzdem schön, gewaltig, eindrucksvoll - und man kann in aller Ruhe fotografieren.
Uns ist nach einer Überlandroute und so bummeln die Bikes über Karahayıt und Akköy nach Tepeköy und Yenicekent. Einfache, ärmliche Dörfer inmitten von Baumwollfeldern sowie hier und dort ein paar Rebstöcken, deren Trauben in dieser Region nicht zu Wein gekeltert, sondern getrocknet als Sultaninen den Weg auf den Frühstückstisch finden. In Bulgan trifft die löchrige Nebenroute wieder auf die mittlerweile gut ausgebaute Achse Denizli - Salihli und wir staunen einmal mehr, was Straßenbauer in nur wenigen Jahren „reißen“ können. Wenn das der deutsche Verkehrsminister Andreas Scheuer erleben dürfte…Dabei sterben natürlich zig Dörfer am Wegerand, an denen die neue Straße nun vorbeifräst, sie links liegenlässt und damit natürlich auch die Nebeneinnahmen eines Durchgangsverkehrs auf Null zurückdreht. In Sarıgöl setzt die Landstraße urplötzlich zum Sturzflug in die tiefliegende Alaşehir Ovası (Ebene) an, der Asphalt reißt ab und grober Schotter einer zwar bereits geschobenen, aber noch nicht geteerten Trasse fliegt uns um die Ohren. Ja, so war das früher in der Türkei über viele, viele Kilometer hinweg. Heute erleben wir nur die Reste eines gewaltigen Straßenbauprogramms, welches das Reisen in der Türkei grundlegend verändert hat.
Weintrauben- und Paprikafelder bis Akhisar, dann urplötzlich hektisches Stadtleben. In Akhisar tanzt der Bär und so ein abrupter atmosphärischer Wechsel ist ganz typisch für das Stadt-Land-Gefälle in der Türkei. Lautes Rufen der Straßenverkäufer, Geschäfte, Werkstätten, Bäckereien, „Lokantası“ und „Kafes“ am Straßenrand, ein wildes „Geparke“, drängelnde Rollerfahrer, Kamikaze-Taxis und von allen Seiten wird man angehupt. Nicht fluchen oder schimpfen, das ist ein freundliches „Hallo, du auch hier?!“, „Ich grüße dich“, Hoş geldiniz!’. Immer wieder gewöhnungsbedürftig, immer wieder nervig, aber auch immer wieder sehr nett und unterhaltsam.
Wir brauchen türkische Lira und beraten noch, wo es wohl einen „ATM Bankomat“ (Automated Teller Machine) gibt, als plötzlich ein Uniformierter energisch auf uns zuschreitet. Ich bin bereits dabei, unsere letzten Ampelstopps zu reflektieren, da reicht er mir die Hand, mustert begeistert die CRFs, kennt sie vor allem beim Namen und deutet vehement auf die andere Straßenseite. Kadır Aslan ist Security Officer bei einer Filiale der „Ziraat Bankası“, hat seine rot-weiße CRF 250L direkt vor dem Eingang geparkt und möchte uns unbedingt zu einem Cay in die Bank einladen. Und da sitzen wir nun in voller Montur mit einem Tablett auf den Knien neben dem Geldschalter, umringt von netten englischsprechenden Bankangestelltinnen, schlürfen Tee und beantworten Kadırs Fragen. Woher, Reiseverlauf, wohin und natürlich die Fußballweltmeisterschaft mit dem schlechten Abschneiden der deutschen Mannschaft. Akhisar ist offensichtlich eine Fußballhochburg und es ist uns fast peinlich, dass wir Hasan Ali Adıgüzel und Hasan Hatipoğlu, die berühmten kickenden Söhne der Stadt, noch nicht einmal beim Namen kennen. Am Abend, so erfahren wir, spiele der Akhisar Belediyespor (berühmter türkischer Club, spielt in der „Süper Lig“) in der Stadt und er, Kadır, habe Karten. Wir sollten doch auch kommen, denn der Eintritt für „Ausländer“ sei frei. So, aus der Kiste komm jetzt mal wieder raus, wenn du weiterfahren möchtest und dir Fußball eigentlich ziemlich schnuppe ist…
Wir wühlen in den Packtaschen, schenken Kadır zum Abschied einen TF-Schlüsselanhänger und diverse Aufkleber, schießen ein Einnerungsfoto und tauschen die Mobilfunknummern. Prompt kommt am Abend eine WhatsApp-Mail mit einem lachenden Kadır im Stadion, in der Hand seinen Honda-Schlüssel mit dem Anhänger. Es ist so geil…
Irgendwas hat TomTom falsch gemacht, jedenfalls schleust uns das Navi mitten durch die Altstadt Akhisars und wir lernen ausgiebig, nicht alle Verkehrsregeln auch tatsächlich anwenden zu müssen. Locker bleiben, Michaela, so fährt man hier nun mal, und es ist völlig wurscht, ob dir auf deiner Straßenhälfte drei Autos entgegenkommen oder an der Kreuzung alle auf einmal losfahren. Irgendwann spuckt uns die Stadt ins freie Land und die Enduros turnen auf einer schmalen, schlaglochgesegneten Bergstraße Richtung Soma. Glauben wir jedenfalls. Im Dorf Zeytinliova ist Schluss mit Vorankommen. TomTom hat das Handtuch geworfen, die Straßenkarte geht nur noch gepunktet weiter und die Dorfjugendlichen auf ihren Mopeds prophezeien uns, dass wir mit unseren „Crossmotorrädern“ sicherlich eine Chance hätten, Soma zu erreichen.
Die Anweisung in meinem Helmkopfhörer ist unmissverständlich: U-m-k-e-h-r-e-n! Irgendwie finden wir dann doch noch über diverse Baustellen zurück auf die Straße nach Soma. Mensch, eine gute Stunde versenkt! Und wir wollten doch in Bergama so zeitig ankommen, dass wir auf der Akropolis noch die Abendsonne genießen und vor allem fotografieren können…
Punkt sieben Uhr abends stehen wir vor der Ticketbude auf dem Burgberg des griechischen Pergamon. In einer halben Stunde machen wir zu, mahnt der Kassier, und dann kämen wir nicht mehr raus. Bad timing! Wir beschließen, den Besuch der Ausgrabungsstätte auf den nächsten Morgen zu verlegen und stattdessen unten in Bergama auf Hotelsuche zu gehen. „Einen „şeftali suyu“ (Pfirsichsaft) noch und ein wenig ausruhen“, meint Michaela. Klar doch, die Fahrt hinauf auf der schmalen, steilen Bergstraße (> 10% im Oberdorf) war schließlich stressig genug. Ich bin eh immer wieder erstaunt und froh zugleich, was meine Frau so alles mitmacht…
Als wir schließlich vom Burgberg rollen, ist das letzte Tor bereits geschlossen. Aber da steht noch ein Auto und mein Finger hat noch nie so lange auf eine Hupe gedrückt. Tamam (=Okay)-- der Wärter steigt aus, schließt uns auf und wünscht einen „Iyi akşamlar" (guten Abend). Boah eh, das hätte ins Auge gehen können. Und ob es uns noch für die letzte Seilbahn gereicht hätte, sei dahingestellt. Die Enduros hätten aber in jedem Fall bei den vielen Hunden auf dem Burgberg übernachten müssen…😰 —
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