Reisetagebuch "Türkei"
18. Sept. 2018 - Tage: 340 km - Gesamt: 10.261 km - Eintrag: Michaela & Udo
Von Mustafapaşa / Kappadokien nach Ilgın
PARDON - wir haben ein paar Tage nichts von uns hören lassen. Michaela hatte mir morgens in Mustafapaşa den Badeanzug vor die Nase gehalten und einen Zettel mit der Aufschrift „Mittelmeer“ auf den Nachttisch gelegt. Eine klare Zielvorgabe. Folglich haben wir engagierte 1100 Kilometer quer durch Zentralanatolien bis nach Bergama abgerissen und heute Morgen nochmals die restlichen 100 bis an die Küste kurz vor Küçükkuyi am Golf von Edremit.
So, und jetzt haben wir Zeit, im großzügig angelegten Garten und beim Plätschern der Wellen als Begleitmusik die vergangenen Tage Revue passieren zu lassen…
18. Sept. 2018: Wir kommen in Mustafapaşa beizeiten los. Ausgesprochen herzlich der Abschied von Ayşe und Ataçan im Magic Cave Hotel. Wir versprechen, im Frühjahr 2019 wieder reinzuschauen, in jedem Falle beim nächsten Kappadokien-Besuch. Ayşe leert einen Tonkrug mit Wasser hinter uns, was soviel bedeutet, dass unsere Weiterreise unbeschwert und hindernisfrei wie der Fluss des Wassers verlaufen soll. Ganz lieben Dank dafür!!
Noch einmal durch Ürgüp rollen, die schönen Cave-Houses des Ortes genießen, den Burgfelsen von Üçhisar aus der Ferne, dann weiter nach Nevşehir. Die „neue Stadt“, so die Bedeutung des Namens, powert mit moderner Infrastruktur, mehrstöckigen Wohnblöcken am Ortseingang, einer tiefen Schlucht hinab zum Fluss Kızılırmak, Höhlenwohnungen in der Altstadt und an die 100.000 quicklebendigen Einwohnern. Irgendwann sind wir durch und das Land öffnet sich zu einer leicht gewellten, landwirtschaftlich genutzten Hochfläche (Melonen, Weizen, Mais) zwischen 1200 und 1300 Metern über Meereshöhe. Linkerhand bleibt uns lange Zeit noch ein schöner Blick auf die bis über 3000 Metern aufragenden Vulkanberge Kappadokiens erhalten. Kurz vor Aksaray kann man im Mittagsdunst sogar die Konturen des Hasan Dağı aus machen, der mit 3268m der zweithöchste erloschene Feuerspucker der Region ist. Andeutungsweise gelingt ein Blick in das als ausgesprochen schön beschriebene Peristrema Vadisi, das Ihlara-Tal, dem Flusstal des Melendiz Cayı, von dem Wanderer schwärmen, welche die 100 Meter tiefe Schlucht über 14 Kilometer abgearbeitet haben. Es ist immer wieder unglaublich, wieviele Gesichter die Türkei vorzuweisen hat.
Ein weiteres dieser Gesichter überrascht uns nach der Abzweigung nach Konya. Erinnerungen an das Wolgaland kurz vor Astrahan. Die 300er Landstraße pfeilt durch topfebenes Land mit riesigen Salzwiesen. Die Aksary Ovası (= Ebene) ist die Hinterlassenschaft des allmählich verlandenden riesigen Sees „Tuz Gölü“. Ein gigantischer Landgewinn, dessen landwirtschaftliche Nutzung allerdings äußerst schwierig ist. Vereinzelt beobachten wir Gehöfte mit Viehwirtschaft, besprühte Felder mit Gras, ein paar Zementfabriken. Sonst nichts, nur endlose Weite. Kurzer Stopp an der Karawanserei Sultanhanı, wo einst Kaufleuten und Reisenden, die auf der alten Seidenstraße unterwegs waren, bis zu drei Tagen Verpflegung, Unterkunft, Behandlung und die Versorgung von Tieren gewährt wurde. Leider (oder Allah sei Dank) ist diese größte Karawanserei aus der Zeit der Seldschuken derzeit nicht zugänglich, da sie von Grund auf renoviert wird. So bleibt ihr prächtiges Eingangsportal also ohne motorradreisende Bewunderer und wir begnügen uns mit einem Blick auf die Außenmauern…
Fünfzig, sechzig Kilometer vor der Großstadt Konya (2,2 Mio. Einwohner) nimmt die Landschaft wieder Bewegung auf und wellt sich angenehm abwechslungsreich entlang der Route. Riesige abgeerntete Getreidefelder, kahle samtbraune Berge unter einem blauen Himmel mit weiß getupften Wölkchen - wir gleiten dahin, haben zu schauen, sind mehr als zufrieden unterwegs. Konya lässt sich glücklicherweise weiträumig umfahren, und da sind sich Michaela und ich eigentlich immer einig. Kein Bock mehr auf Millionenstädte mit dem Motorrad. Bitte keine Staus und wenig Generve auf dieser „TransTurkey“, wie ich unsere Ost-West-Querung insgeheim getauft habe. Wir finden die Landstraße 300, vierspurig ausgebaut und so viel befahren, dass ich schon am Abend verkünde: Morgen suchen wir uns nach Denizli / Pamukkale rüber bitte wieder ein paar kleinere Landsträßle. Beim Ausbau des anatolischen Straßennetzes ist wirklich geklotzt worden. Diesbezüglich hat Erdoğan sein Versprechen gehalten: Man kann die Türkei inzwischen im D-Zug-Tempo (Wer kennt diesen Begriff in ICE-Zeiten noch…?) vom Marmara-Meer bis zum Ararat durcheilen…
Schluss, aus in Ilgın. Nach 340 Kilometern ist der Hosenboden wieder mal durchgeritten. An der Straße lockt das Schild „Saheb Ata Termal (ohne „h“)- Otel“ und wir nichts wie hin. Die kleine Geschichte soll noch erzählt werden:
Kaum sind die Seitenständer vor dem Hoteleingang ausgeklappt, werden wir gleich mehrfach von Deutsch- und Österreichtürken begrüßt, erfahren Lebensläufe aus dem Ruhrgebiet und eine Einweisung in die gesamten Erholungsmöglichkeiten der Thermalanlage. Zimmer mit Halbpension für 280 TL (39 Euro), alle Anwendungen inklusive. Ich muss mehrfach das Angebot ablehnen, doch am Abend noch das Männer-Hamam zu besuchen. Das Zimmer selbst? OK, wir hatten schon schlechtere, aber „Spa“ schreibt man nun wirklich anders. Wenn selbst Michaela nur fünf Minuten in der Nasszelle verbringt, will das was heißen…
Beim Abendessen dann großes Staunen: In dem Speisesaal sitzen nicht unter 150 ältere Gäste und „dinieren“ nach ländlicher Sitte. Alle Frauen streng mit Kopftuch und dunkler Kleidung, die Herren „gehbehindert“, so dass „frau“ sie bedienen muss. Und dann betritt Michaela mit Blondschopf und unverhüllt die Bühne. Eh, das ist so ähnlich, wie wenn Gisele Bündchen nachlässig bekleidet den Catwalk hinunterspaziert. Gut, dass Unterkiefer keine Scharniere haben, sonst wäre da so manches hörbar eingerastet. Aber keine böse Bemerkung, vielmehr ein „Guten Abend“ (auf Deutsch) vom Restaurantchef und ein „hoş geldiniz“ obendrauf.
Es gibt ein Büfettessen mit reichlich Auswahl und in ausgesprochen guter Qualität. Und da wird „zug’langt“, bei Allah, dem Großen, dem Einzigartigen. Selten habe ich soviel Essensfreude beobachten können. Für die meisten der offenbar aus sehr einfachen Schichten stammenden Gäste ist das „Saheb Ata“ ein bezahlbares Angebot, das man sich auch jenseits der Berufsjahre noch leisten kann.
Wir haben wieder mal türkischen Alltag erlebt - dieses Mal ein Urlaubsziel fernab jeder touristisch erschlossenen Einrichtung. -
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