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Durchs Pontische Gebirge

Reisetagebuch "Türkei"

12. Sept. 2018 - Tag: 168 km - Gesamt: 9330 km - Eintrag: Michaela & Udo

Von Tirebolu (Schwarzmeerküste) nach Şebinkarahisar

Kahvaltı - türkisches Frühstück
Kahvaltı - türkisches Frühstück

Bisher haben wir mächtig Schwein gehabt. Das gestrige Sonnenloch über dem Schwarzen Meer scheint aber nur von kurzer Dauer, denn je weiter man die Wetterkarte im Internet gen Westen zieht, desto dichter werden die Regen- und Gewittersymbole. Folglich beschließen wir, die Schwarzmeerroute schon deutlich vor Samsun zu verlassen und über das Pontische Gebirge ins Landesinnere vorzustoßen. Dabei ging dann auch gleich die Hattuşa-Idee mit über Bord, denn Michaela hat im Bal Otel dermaßen gut gefrühstückt, dass sie grünes Licht für einen „Schlenker“ über Kappadokien gegeben hat. Türkenherz, was wünschest du mehr…? 

Schwarzmeerküste vor Giresun
Schwarzmeerküste vor Giresun

Mir gefallen harte Szeneriewechsel zugegeben sehr gut, bringen sie doch Spannung und Abwechslung in jede Reise. Und wenn man vom glatten Asphalt der Schwarzmeerroute bei Giresun den Blinker setzt und in das schluchtengierige Flusstal des Aksu Cayi vorstößt, dann weiß man keine 30 Kilometer später und spätestens in Dereli wieder, warum man mit einer Enduro unterwegs ist, die lange Federwege vorweisen kann. Offenbar haben die türkischen Straßenbauer mit dem Durchstich durch das Pontische Küstengebirge über den 2230 Meter hohen Eğribel Pass Größeres vor, denn da wird an allen Engstellen gerade die Straße verbreitert, es werden Felsabsicherungen gegen Steinschläge angebracht und staubige Umleitungen mit leichten Schotterpassagen drücken aufs Reisetempo. Im Rückspiegel nur Erfreuliches: Meine Frau fährt solche straßenbautechnischen Störmanöver inzwischen wie ein Profi, geht locker aus dem Sattel, wenn die Schlaglöcher oder Bodenwellen zu derb werden und bleibt schön gleichmäßig am Gas, wenn grober Baukies den Asphalt ersetzt. Russland war offensichtlich eine gute Schule…

 

Ab Dereli hinauf nach Alancık mutiert der Weg zu einer spannenden Bergstrecke durch dichtes Grün, garniert mit dem gut 100 Meter hohen Kuzalan-Wasserfall kurz vor Pınarlar. Nun macht das schmale Asphaltband ständig Höhenmeter, trennt sich nach dem Dorf Tamdere von den letzten Laubwaldhainen und wird fortan flankiert von steilen „Almwiesen“, auf denen die Bauern mit der Handsense das Gras schneiden und bündeln. Kleine bunte Punkte weit außerhalb jeder Rufweite, doch immer noch nah genug für ein Hupen und Winken, das dankbar angenommen wird. In knapp 1800 Metern Höhe hält die Bergstrecke erneut auf eine Riesenbaustelle zu: Aufwändig abgesichert durch massive Betonverschalungen am Berghang werden hier zwei Tunnelröhren gebaut, welche die Fahrt über den Eğribel-Pass auch im harten Winter ermöglichen sollen. Die letzten 450 Meter bis zur Passhöhe führen durch ein vegetationsloses Bergland mit runden, braunroten Kuppen und weitem Blick zurück. Wir machen auf der windigen Passhöhe kurz Rast, genießen die leichtlebige, verspielte Unbeschwertheit einer türkischen Familie, die neben ihrem Wagen bei geöffneten Türen und aufgedrehter Musikanlage ein Tänzchen auf dem Asphalt direkt am Schild mit der Passhöhenangabe hinlegt. Man stelle sich das bitte mal auf dem Timmelsjoch vor…

Dorf Dereli am Fluss Aksu Cayi
Dorf Dereli am Fluss Aksu Cayi

Die restlichen Nachmittagsstunden verbraucht die Passabfahrt hinab nach Şebinkarahisar. Auf gut 30 Kilometern präsentiert sich die Südflanke der Giresun Daǧlatı in einer überwältigenden Schönheit mit multicolorfarbigen Bergflanken, herrlichen Kontrasten zwischen pappelgrünen Bergbächen und sattgrünen braun-rot gewellten Busenbergen. Hier hat es Allah besonders gut mit den türkischen Menschen gemeint und genau diese zufriedene, gelassene Ausstrahlung hat der Ort Şebinkarahisar. An der Tankstelle am Ortseingang spricht uns Kamḭl an der Zapfsäule auf Deutsch an, lädt zum Cay und stellt uns seinen Vater, Onkel und Bruder vor, die dort offensichtlich „etwas zu sagen“ haben. Über 30 Jahre lang hat Kamḭl LKW quer durch Europa gefahren, kennt etliche deutsche Autobahnen und freut sich sichtlich, das vor seinen Verwandten demonstrieren zu können… Wir bleiben sehr viel länger als geplant und lassen uns schließlich von Baba Kamḭl ein Hotel im nahen Şebinkarahisar reservieren. Familiensache - klar doch - aber die Herren sind so nett! Und dann lässt es sich Kamḭl trotz ernsthaftem Widerspruch nicht nehmen, uns als Pace-Car durch die wuselige Altstadt zu lotsen und beim „Colonia Park Hotel“ abzuliefern. Mehr Altstadt geht nicht und engere Gassen wohl auch nicht, aber wohin jetzt mit den Enduros? Als ich schon Maß nehme, um sie die Treppe hinauf direkt im Hoteleingang zu platzieren, fällt dem jungen Mann an der Rezeption noch eine sanftere Lösung ein. Der Nachbar hat doch einen „Parkplatz“ und da könnten wir… Also verbringen die CRFs auf Scherben und Mülltüten die Nacht. Japanische Enduros lassen sich von so etwas nicht beeindrucken.

Haselnussbauer in Dereli (Pontisches Gebirge)
Haselnussbauer in Dereli (Pontisches Gebirge)

Wir bekommen am Abend noch ein besonderes „Turkish Delight“ obendrauf. Auf der Suche nach einer „Lokanta“ landen wir im 1. Stock eines Altstadthauses. No English - aber was wir wollen, versteht man sofort. Doch irgendwie stehen die „Bayan“ der Küche unter Druck und wir deuten zusammen mit den eingedeckten Tischen, dass heute Abend noch wichtige Gäste kommen. Und dann trudeln nach und nach an die 50 Männer (!) ein, mit Jacket und Hemd gut gekleidet, nehmen als Aperitif einen Becher Ayran (Getränk aus Wasser, Yoghurt aus Schafsmilch und Salz) und es entwickelt sich ein lebhaftes Gespräch. Man kennt sich, man schätzt sich. Ab und zu werden wir gefragt, woher wir kommen und wenn die Männer dann „Alemanya“ hören, geht der Daumen nach oben und mindestens ein „güzel“ (gut) kommt obendrauf.

 

Plötzlich stehen alle auf: Ein besonders gut gekleideter Herr nebst Begleitern betritt den Gastraum und setzt sich an den Kopf der Tafel. Jetzt endlich verstehen wir, in was wir da hineingeraten sind: eine Art Gemeinderatsversammlung, und der wichtige Herr ist der Bürgermeister von Şebinkarahisar. Wir schauen zu, dass wir unser Kebap mit Reis vertilgen, zumal noch ein paar der Herren keinen Sitzplatz gefunden haben. Bezahlen vorn am Eingang zum Gastraum: 40 TL, umgerechnet 5,20 Euro. Ganz versteckt in den Gassen der Altstadt finden wir zum Abschluss noch einen Laden mit Rauchwaren und alkoholischen (!) Getränken. Die „Efes“-Bierflaschen (malzig, würziges Pils) verschwinden in einer schwarzen (!) Tragetüte. Immerhin sind wir noch in Ostanatolien… --

Durch die Schlucht des Aksu Cayi
Durch die Schlucht des Aksu Cayi
Am Eğribel Pass
Am Eğribel Pass
Begegnung am Eğribel Pass
Begegnung am Eğribel Pass

Abfahrt vom Eğribel Pass (Pontisches Gebirge)
Abfahrt vom Eğribel Pass (Pontisches Gebirge)
Passhöhe Eğribel Pass auf 2200 Meter
Passhöhe Eğribel Pass auf 2200 Meter
Nette Unterhaltung mit Kamḭl (rechts) und seiner Familie
Nette Unterhaltung mit Kamḭl (rechts) und seiner Familie

Gute Nacht in Şebinkarahisar
Gute Nacht in Şebinkarahisar
Durchs Pontische Gebirge nach Şebinkarahisar
Durchs Pontische Gebirge nach Şebinkarahisar

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