Reisetagebuch "Türkei"
11. Sept. 2018 - Tag: 304 km - Gesamt: 9162 km - Eintrag: Michaela & Udo
Von Batumi (Georgien) nach Tirebolu (Schwarzmeerküste/Türkei)
Wir haben einen Ruhetag im Hotel Sanapiro in Batumi eingelegt, die tolle Aussicht vom 6. Stock genossen, den Wellen gelauscht, die unaufhörlich an den schwarzen Kiesstrand schlagen, und mit einem wohligen Gefühl die satten Regenschauer ausgesessen, die mit einem fetten Unwettertief die türkische und georgische Schwarzmeerküste abduschten.
Heute soll es weitergehen. Wir wollen bei Sarpi über die Grenze machen und von der 2000 Kilometer langen Türkeiroute noch eine dicke Scheibe abschneiden. Pünktlich mit der Abfahrt beginnt es zu regnen; also wieder Maskenball am Straßenrand und die Pellerinen übergezogen. Batumis zähflüssiger Verkehr saugt uns auf und wir kriechen durch die Straßen der Stadt. Vor sieben Jahren hatten wir einen Kastenwagen mit Motorrad-Trailer dabei und krachten bei der Umfahrung des Hafens von einem groben Schlagloch ins nächste. Das ist Gott sei Dank Vergangenheit. Die Durchgangsstraßen in der georgischen Hauptstadt sind saniert, man hat breite Boulevards angelegt, die je nach Tageszeit drei bis sechsspurig befahren werden, von Moped- und Rollerfahrern notfalls auch auf dem Gehweg. Es gibt inzwischen eine großzügige Umgehungsstraße, die dann direkt auf die Sarpi-Route Richtung Grenze einmündet und der Verkehr kollabiert nicht mehr völlig, wie wir es damals noch erlebten. Viele neue Gebäude sind hochgezogen worden, die baufälligen Häuser im Stadtzentrum sind völlig verschwunden, in den Außenbezirken entstehen große neue Wohnsilos, denn die Stadt wächst durch Landflucht beständig, bietet Jobs und ist in den letzten Jahren verstärkt zum Ziel von Bauinvestoren geworden. Auch der Hafen, ja, das gesamte Hafengebiet wirkt inzwischen intakter, betriebsamer und längst nicht mehr so verlottert und kaputt wie bei unserem ersten Besuch.
Für die georgische Grenzkontrolle in Sarpi benötigen wir zwei Stunden, obwohl mehrspurig wesentlich zügiger abgefertigt werden könnte. Aber wenn nur ein Schalter besetzt ist… Die türkischen Kollegen können es ein wenig schneller, freuen sich, dass wir ihnen ein paar Brocken Türkisch zurufen können, und so rollen wir nach knapp drei Stunden Hopa und der Sonne entgegen. Tatsächlich, mit Betreten der Türkei hat es aufgehört zu regnen.
What a change! Ein superglatter Straßenbelag, ein zivilisiertes Verhalten im Straßenverkehr, freundliches Hupen und Winken, wenn man unsere deutschen Kennzeichen erkannt hat und eine rege Betriebsamkeit linker- und rechterhand der Straße. Bald rollen wir an riesigen Teeplantagen vorbei (Warum baut man keinen Tee auf der georgischen Seite an?), die sich terrassenförmig die steilen Berghänge hinaufziehen, genießen eine Cay-Pause in einer der vielen Lokantas neben einer vier- bis sechsspurigen Schwarzmeer-Autobahn, die sich mit den Jahren zu einer lebendigen Schnellstraße entwickelt hat. Als relativ junger Mann bin ich hier noch auf einer einfachen Landstraße gereist, die mich von einem quirrligen türkischen Küstenort in den nächsten brachte. Heute muss man den Highway verlassen, will man die Ortschaften näher kennenlernen. Aber an seinen Rändern ist das bunte Leben wenigstens teilweise und streckenweise zurückgekehrt. Türken essen und trinken viel zu gern, um auf kleine Stände, großzügige Lokantas, Hotels und sogar kleine Feriensiedlungen neben der Autobahn zu verzichten.
Die Fahrt ist also nicht langweilig, sondern das neugierige Auge bekommt ständig Futter. Immer wieder geben tiefe Taleinschnitte den Blick frei hinauf in die dicht bewachsenen Kaçkar Dağliari (Pontisches Gebirge, das sich auf 1000 km am Schwarzen Meer auftürmt) eine Vorstellung dessen, was einen in dem noch mit dichten Regenwolken verhangenen Bergen erwartet, deren höchste Spitzen in 3900 Metern Höhe liegen.
Sehr beeindruckend auch, welchen immensen Wohnraum türkische Städtebauer an der Schwarzmeerküste schaffen. In Städten wie Ardeşen, Pazar, Çayeli, Rize oder Trabzon türmen sich neue Wohnsilos mit Meeresblick in tiefer Staffelung. Das mag gewiss nicht jedermanns Geschmack sein, aber diese Wohnungen sind auch für einfache türkische Durchschnittsverdiener bezahlbar. Am Schwarzen Meer gibt es Arbeitsplätze, nicht nur in den zahlreichen Çaykur-Fabriken, die den leckeren Tee des Landes produzieren, sondern hierher kommen auch Nutellas Haselnüsse („Findik“) und leckerer Honig. Auch was den Fischfang angeht, scheint das Schwarze Meer noch eine Lebensgrundlage zu bieten; die „Balik“-Angebote sind überall präsent.
Ein paar Kilometer hinter Tirebolu sind wir satt für den heutigen Tag; knapp über 300 Kilometer inklusive drei Stunden Grenztheater — lassen wir’s gut sein. Direkt an der Schnellstraße thront das sechsstöckige "Bal Otel" über der Küste, lockt mit einem Panorama-Restaurant und lässt sich die drei Sterne mit bescheidenen 29 Euro bezahlen. Fürstlich essen mit lecker Köfte und frischem Salat, dazu das sehr gelungene türkische Pilsner Efes und einen abschließenden Verdauungs-Raki— das alles gibt’s für runde 20 Euro. Die Tourismuswelle und -walze ist an der türkischen Schwarzmeerküste im Osten Allah-sei-Dank noch nicht angekommen. —
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