Reisetagebuch Russland 06. Sept. 2018 - Tag: 287 - Gesamt: 8311 km - Eintrag: Michaela & Udo
Von Kizlyar (Russland) nach Vladikavkas (Nord-Ossetien) )
Der Tankwart hat neben unseren Motorrädern gepennt, in einem kleinen Kabuff, weil selbst nachts noch LKW halten und Diesel brauchen. Wir packen zügig, schauen, dass wir loskommen. Heute keine Zeit verlieren. Außerdem gefallen uns die seltsamen Typen nicht, die um die Tankstelle herumstreichen.
Frühstück in Kizlyar, in besagtem „Truckstop-Busstop-Restoran-Polizeiposten“ - den kennt Ihr ja schon. Sehr gemischtes Publikum und ein ständiges Kommen und Gehen von Dolmusch-Passagieren, ganzen Busladungen mit verpennten Fahrgästen, Militär- oder Milizangehörigen - wer weiß das schon? Das tschetschenische Frühstück ist so derb wie das Land: Lammgulasch mit Reis, Fleischknödel mit Gemüse, Kartoffelbrei, Gemüsepfanne und - jetzt komme ich ins Spiel - süße, mit Marmelade gefüllte Hefeteighörnchen in XXL und ein leckerer Crème-Honig-Kuchen. Dazu Chay bis zum Abwinken. Passt und füllt den Magen für den heutigen Trip. Das nahrungsarme Gestern steckt uns noch in den Knochen…
Seltsames Publikum im Gastraum: Soldaten mit der MP unterm Arm schneien herein, islamische Muftis ganz wichtig vor der Tür, Polizeikommissare mit Pistole am Gürtel holen den Gastwirt und ein paar andere Typen in einen Nebenraum. Ein konspiratives Treffen? Die Frauen schleppen Essen und Getränke in den Nebenraum und sind seltsam servil. Zu uns ist jedermann freundlich, Wir scherzen mit den Büfettdamen und den Soldaten gleichermaßen. Einer von ihnen fährt eine Yamaha, Sportmaschine natürlich - ideal für Tschetschenien!
Noch einmal 40 Kilometer gegen den Wind, der am Morgen schon wieder erstaunlich gut drauf ist. Khasavyurt empfängt uns mit allem, was ordentliche Westeuropäer verabscheuen: hupende, ungeduldige Autofahrer, regelloser Verkehr an allen Kreuzungen, Staus in der Stadt, rußende LKW, wildes Aus- und Einparken an den Ständen, Geschäften und Workshops an den Ausfallstraßen der Stadt. Wir vergeigen uns mächtig, Onkel Tom ist stocksauer und kaum ist der U-Turn gelungen, greift uns an einer T-Kreuzung eine Polizei-/Miltärkontrolle von der Straße. Der Militärpolizist kassiert unsere sämtlichen Ausweispapiere: Pass, Versicherungsschein, Internationaler Führerschein. Wir müssen ihm in die „Amtsbarracke“ folgen und dort entwickelt sich das, was ich bisher nur aus Maghreb-Ländern kannte. So allmählich lässt er die Katze aus dem Sack: angeblich irgendeine weiße Linie überfahren, angeblich überholt, wo es nicht erlaubt war — und Gott sei Dank hängt da schon eine Karte an der Wand mit den üblichen Verstößen, die allesamt 5.000 Rubel kosten.
Hey man, das sind locker an die 65 Euro. Ja, wir seien beobachtet worden (??). Ich mache auf bescheiden, reumütig, erkläre sanft, dass wir auf dem Weg zur Grenze seien, also keine große Barsummen mehr bei uns hätten. Ihr müsst Euch das alles quälend langsam mit dem Google-Translator vorstellen. Er (Polizeisoldat) will dann ein „Protokoll“ machen und wir dürften nicht mehr weiterfahren. Blöde Idee!
Zweiter Anlauf: Ich bitte Michaela, 50 Euro aus dem Tankrucksack mit unseren Reserven zu holen. Da liegen sie nun auf dem Tisch als Alternative zum „Protokoll“. Er (Polizeisoldat), möchte pro Person 50 Euro. Jetzt aber… Ich erinnere ihn daran, dass wir doch Gäste in seinem tollen Land seien und dass das Visum ja schließlich ablaufe und dass ja niemand wissen müsse, wenn… ZACK, ist der Schein verschwunden in seiner Hosentasche. Google meldet eine letzte Botschaft: „Nicht brechen mit Ihnen über das“. Wir sollen die Klappe halten über die unfreiwillige Einzahlung in die Khasavyurter Witwen- und Waisenkasse. Okay, machen wir. Wir schreiben es lediglich in unseren Blog…
Dreimal noch werden wir auf der Querung durch Tschetschenien von Straßenkontrolleuren in den unterschiedlichsten Uniformen an den Straßenrand gebeten. Bei der letzten fluche und schimpfe ich wie ein Großer und siehe da: Der Militärpolizist findet’s geil und wir tauschen den „Männer-Macho-Gruß“ mit verschränkten Handflächen. Na, geht doch! Jedes Land hat seine Sitten und Bräuche, die man erst einmal verstehen muss… ;-)
Die M20 ist super ausgebaut, trägt uns in Windeseile an Grosny und weiter an einem modernen, business-stylish gebauten Tschetschenien vorbei nach Vladikavkas. Da fließt offensichtlich gewaltig Geld nach Tschetschenien: neue Schnellstraße mit gutem Belag und Leitplanken, moderne Bürohäuser, neu gebaute Moscheen, Hinweisschilder zweisprachig, Shops mit allen Westerzeugnissen unserer modernen Kommunikationsgesellschaft. Überall Plakate mit dem Konterfei des ehemaligen Präsidenten Achmat Kadyrow, der unglücklich weggebombt wurde, aber für seinen Sohn und Nachfolger immer noch als Aushängeschild dient. Und daneben - immer korrekt - das Bild Wladimir Putins, damit die Tschetschenen nicht vergessen, woher ihr neuer Wohlstand kommt. Wenn das die russischen Menschen in den vielen armen Straßendörfern an der Wolga wüssten…
Hinauf nach Vladikavkas passieren wir die Grenze zu Nordossetien-Alanien und plötzlich sind die Officers an den Straßensperren völlig anders drauf. Wir sollen bitte sagen, wenn wir etwas bräuchten, könnten auch gern einen Tee mit ihnen trinken - und toll, dass wir ihr Land besuchten. Der Rest neben der Straße am Fluss Terek ist böse baufällig und auch in Vladikavkas kämpft der Restcharme vergangener Zeiten mit einer verwahrlosten Industrielandschaft. „Beherrsche den Kaukasus“, bedeutet Wladikawkas wörtlich und das erinnert an die besseren Tage des Heerstraßenbaus, als Wladikawkas noch der zentrale Handelsknotenpunkt war. Heute leidet die 300.000 Einwohner-Stadt mit vornehmlich russisch-orthodoxen Bürgern unter einer zunehmenden Terrorisierung durch islamische Extremisten, die teils aus dem islamischen Tschetschenien teils aus Dagestan einreisen und ihre blutige Botschaft verbreiten.
Marina freut sich so richtig, als wir an der Rezeption des Hotels „Veterok“ aufschlagen. Das Haus liegt in einem ruhigen Außenbezirk von Wladikawkas und wir beziehen ein großes, ruhiges Zimmer. Abendessen und Frühstück gibt’s aufs Zimmer und so können wir hemmungslos noch vor der Sandmännchenstunde ins Bett fallen. Thank you, Marina, for your service and kindness. You are a very nice Russian girl… 😘 --
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Roland Kater (Sonntag, 09 September 2018 13:24)
Eure Schilderung der "Polizeikontrolle" (Wegelagerei!) ließ selbst mir die Nackenhaare hochschnellen!
Aber ihr habt die Nerven behalten.
Wünsche euch, dass dies die Ausnahme auf der Tour bleibt...
Weiterhin gute Fahrt!