Die letzten lykischen Stationen dieser Reise liegen vor dem Vorderrad: Myra mit seinen weltberühmten Felsengräbern sowie einem der besterhaltenen antiken Theater und Arykanda, ein relativ unbekanntes archäologisches Highlight in den Taurusbergen der Bey Dağları.
Von Patara aus geht es auf der 400er zügig nach Kaş. Kurz vor der britischen Ferienbastion Kalkan drängt die Küstenstraße in steiler Höh’ ganz nah an den felsigen Abgrund und bietet einen wunderbaren Blick auf die Bucht und den ehemals pittoresken Hafen des Ortes. Lange ist’s her - gute 25 Jahre und was ich in meiner Erinnerung als schön und behaltenswert abgelegt habe, hat sich inzwischen nach einem unvorstellbaren Bauboom krakenhaft am Berghang ausgebreitet. Zwar immer noch vorrangig weiß getüncht, macht einem Kalkan inzwischen eher Angst als dass dieser Ort noch einladend oder gar idyllisch wirkt. Apartmenthäuser ohne Ende und die vielen Schilder der Immobilienmakler und Bauunternehmen beweisen, dass noch kein Ende dieser fatalen Entwicklung abzusehen ist. Britische Makler sind es vorrangig, die ihren finanzkräftigen Kunden unzählige Objekte in Kalkan verkauft haben und so hat man unten im Ortskern wirklich nicht mehr den Eindruck, sich noch in der Türkei aufzuhalten. Kalkan hat jeden originalen Charakter längst verloren und teilt dieses Schicksal mit vielen ehemals charmanten Küstenorten rund um das gesamte Mittelmeer.
Wir belassen es bei einigen Fotos vom Hafen und der Bucht und schlagen wider Erwarten bereits um die Mittagszeit in Kaş an, was ein unmittelbar darauf folgendes Abhängen in einem der Cafés am Hafen zur Folge hat. Kaş hat es besser als Kalkan, denn hier waren kluge Stadtplaner und Infrastrukturentwickler bemüht, den schnuckeligen Ortskern mit seinen vielen Gassen und damit den heimeligen Charakter dieses Ortes zu bewahren. Zwar reiht sich auch hier inzwischen Laden an Laden, Boutique an Boutique und Café an Café, doch ist es zum einen nicht der übliche Ramsch, der inzwischen Bodrums Altstadt gesichtslos macht, und zum anderen fehlen die Menschenmassen, die sich schwitzend durch die Straßen kämpfen. Kaş ist immer noch ein hübscher Hingucker, seine Häuser lassen ihre griechische Vergangenheit noch erahnen und im Hafen dümpeln neben den obligatorischen Ausflugs- doch tatsächlich noch ein paar Fischerboote. Die touristische Selektion hat natürlich seinen Preis, einen höheren als anderswo selbstverständlich und wer in dem hübschen Ort nächtigen möchte, darf mit 100 bis 120 Euro aufwärts kalkulieren. Dafür kann man anderswo glatt drei Tage lang bleiben… Aber Schande über uns, wenn wir uns darüber beklagen. Was alle bezahlen können und wollen, ist letztendlich nichts wert und verkommt. Von massentouristischen Auswirkungen an den türkischen Küsten haben wir inzwischen restlos die Nase voll…
Wer es sich also leisten kann und eine Unterkunft in Kaş bucht, ist sozusagen „in the middle of the scene“, will heißen, man hat von hier aus eine gute Ausgangsbasis zur Erkundung der lykischen Küste zwischen den Stränden und Dünen von Patara bis hinüber zu den östlichen Pendants von Olympos und Çıralı. Bootsausflüge an der Küste entlang und natürlich ein interessantes Nachtleben lassen Kaş in der Rangordnung attraktiver lykischer Ferienorte ganz weit oben auf der Liste stehen.
Mit dem ersten fototauglichen Nachmittagslicht stehen wir vor Myras Seenekropolen. Dutzende dieser Grabhäuser und -höhlen starren den Besucher mit toten Augen an, so dass es einem fast unheimlich ist. Allesamt Richtung Meer ausgerichtet (daher der Name „Seenekropolen“) erinnern diese mit aufwendigen Fassaden und farbigen Reliefs verzierten Grabhäuser fast an vornehme Villen, welche den Toten ein gutes Leben im Jenseits garantieren sollten. So ganz nah heran wie früher kommt man heute nicht mehr, doch für solche Schutzmaßnahmen sollte man angesichts Tausender von Besuchern pro Jahr tunlichst Verständnis haben. Uns reicht, was Witzbolde den an Totenmasken erinnernden Skulpturen antun, die auf Friesstücken des daneben liegenden Theaters überall auf dem Grabungsgelände ausgestellt sind. In die Augenhöhlen vieler dieser Köpfe hat man kleine Steine gedrückt und teilweise mit Filzstift größere Dummheiten dazugeschmiert. Warum fahren manche Leute überhaupt an so einen Ort, wenn sie sich nicht wirklich für die Geschichte interessieren und die Fundstücke aus der Vergangenheit mit dementsprechenden Respekt behandeln. Ihre blöden „Selfies“ können solche Typen doch besser am Strand oder vor angesagten Lokalen machen…
Ganz eindrucksvoll und unbedingt lohnend ist der Besuch von Myras Theater, das man über ein gewaltiges Tonnengewölbe betritt. Sage und schreibe 38 Ränge sind noch in ausgezeichnetem Zustand, das Bühnenhaus ist nahezu vollständig erhalten und auf den Zuschauerrängen sind noch die Bohrlöcher für die Holzjalousien zu sehen, die einst die Zuschauer während der Aufführungen beschatteten. Hier kann man wirklich Geschichte atmen, die Augen schließen und im Geiste in römische Tage entfleuchen.
Die Abendsonne meint es heute besonders gut mit uns und vergoldet die raue Felsküste zwischen der Bucht und der Dünenelandschaft von Andriaka - dem antiken Hafen Myras - und dem modernen Yachthafen von Finike dreißig Kilometer weiter östlich. es sind zugleich Motorradkilometer und die Enduros nehmen dankbar zur Kenntnis, dass man an Lykiens Küste auch bei moderatem Tempo Schräglagen einnehmen kann…
Im Hotel „Finike 2000“ drehen wir unseren Reiserössern dann den Strom ab. Das Familienhotel liegt hoch über dem Yachthafen und bietet einen tollen Blick aus dem Restaurant im obersten Stockwerk. Der Hotelier Orhan Üral lebte früher als Gastarbeiter im Odenwald in Mosbach und legte nach seiner Rückkehr und Existenzgründung in Finike den Grundstein für die Städtepartnerschaft zwischen der alten und der neuen Heimatstadt. Gelebte Völkerverständigung - und da wir gerade beim Thema „Verständigung“ sind: Am Abend feiert eine türkische Familie in besagtem Dachrestaurant den Geburtstag der Mama und kaum haben wir den Fotoapparat gezückt und Interesse bekundet, werden wir zum Mittanzen und -feiern aufgefordert. Da können wir natürlich nicht „nein“ sagen. Und so bekommt die Zimmerdusche nach Mitternacht nochmals reichlich zu tun…
Arykanda - letzte Station unserer lykischen Spurensuche. Noch vor der Mittagshitze gelangen wir auf staubiger und steiler Bergstrecke zu der herrlich gelegenen Ausgrabung. Auf mehreren Plateaus klebt die bereits im 6. Jhd. v. Chr. gegründete Stadt an den Hängen des Taurus. Dahinter ragt das 3000 m hohe Akdağ-Massiv auf und voraus gleitet der Blick weit über das Flusstal des Akcay hinüber zu den 2500 m hohen Gipfeln des Kofu Dağı und des Alaca Dağı. Einfach nur dasitzen und das Panorama genießen.
Anschließend braucht es schon etwas Energie und Ehrgeiz, um von Plateau zu Plateau zu kraxeln, aber dafür wird man mit dem besten Anschauungsunterricht in Sachen „lykischer Städtebau“ belohnt, den man sich nur wünschen kann: die zweistöckigen Thermen des Gymnasions, die Reste von Tempelgräbern, eine große Agora, ein Stadion, ein über allem thronendes Theater und ein Odeion mit Säulenhalle. Wir wollten eigentlich nur eine halbe Stunde bleiben - es sind derer zwei geworden.
Dem Rest des Tages gehört eine schöne Endurotour durch die Bergwelt des Taurus. Eine gut ausgebaute Bergstraße führt über den Avlanbeli Geçidi-Pass (1120m) am allmählich verlandenden Avlan Gölü vorbei in das Handwerkerstädtchen Elmalı. Anschließend beginnt eine abenteuerliche Bergstrecke durch eine fast archaische Bergwelt mit schroffem Fels, spärlichem Bewuchs, serpentinengespickt und frisch geschottert, so dass man die Gashand zügeln muss. Oben auf der Passhöhe des Gögübeli in 1850m pfeift der Wind und heftige Böen drohen einen umzuwerfen. Die kleine GS tanzt auf dem Faulenzer und Michaela muss allen Mut zusammennehmen, um schwungvoll wieder anzufahren.
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