Unser letzter Türkei-Tag. Heim zu reisen bedeutet von nun an, jeden Tag von einem anderen Land auf unserer Reiseroute Abschied zu nehmen. Kurz hinter Bandirma berührt die D200 die Bucht des Marmara-Bauchnabels Erdek Körfezi und verwöhnt mit azzurroblauen Weitblicken. Immer noch genug Verkehr Richtung Dardanellen, aber der dicke Schleim des Istanbuler Einzugsbereichs liegt nun endlich hinter uns. Allah, wohin geht die Entwicklung in Deinem Reich? Wenn immer mehr Menschen in immer enger werdende Großstadträume ziehen, wenn Landflucht zur Überlebensfrage wird – wird dann nicht die Innenreibung in diesen urbanen Kesseln derartig groß werden, dass soziale Explosionen nur noch eine Frage der Zeit sind? Istanbul und Teheran leiden unter der gleichen Fehlentwicklung und erliegen tagsüber bereits stundenweise dem vollständigen Verkehrsinfarkt. Nirgendwo sind uns die Grenzen der Automobilisierung so deutlich vor Augen geführt worden wie in den Hauptstädten dieser beiden islamischen Länder.
In Lâpseki hat der Kapitän der kleinen Dardanellenfähre bereits die Trillerpfeife in der Hand, als wir noch schnell an Bord huschen und kurz hinter der Auffahrrampe den Seitenständer ausklappen können. Schlappe acht Euro pro Nase und Bike und das eingesparte Spritgeld über das weiter südlich gelegene Çanakkale kann in dem kleinen, schon wieder richtig malerischen Häfchen von Gelibolu direkt in ein zweites Kahvalte mit leckeren „sigara böregi“ umgemünzt werden. Wir treffen Bill und Elizabeth aus Australien, die mit einem „Where do you guys come from?“ neben unserem Tisch andocken und mal schnell ein paar Schnappschüsse von den „crazy Germans“ mit ihrem iPad schießen. Holiday feeling – und wir sind auf dem Nachhauseweg…
Bis hinauf nach Keşan rumpelt es noch hier und dort im Fahrwerk, doch auch auf diesem Abschnitt hat die Türkei die Planierraupen bereits in Bewegung gesetzt. Eine Fahrbahnhälfte ist gesperrt und wird neu trassiert, auf der anderen rollt (besser „rast“) der Verkehr. Eine Stunde später drücken wir den erstaunlich höflichen und unkomplizierten Zöllnern in Ipsala unsere Reisepässe und Fahrzeugpapiere in die Hand, wiederholen dieses Prozedere an vier weiteren Checkpoints und rollen dann endlich über den Grenzfluss Meriç Nehri (griech. Evros). Die Soldaten auf der Brücke winken, bekommen noch ein herzliches „Allaha ´ismarladik“ zugerufen und „Kalimera“ – schon folgen die Enduros dem Lockruf der Fähre in Igoumenitsa. Kilometer machen, ist angesagt, möglichst noch ein wenig Zeit herausschinden in dem ohnehin engen Timing.
So schön, wie die neue Ost-West-Verbindung E90 quer durch Nordgriechenland auch ist, wenn man Zeit sparen möchte, so todsicher schließt sie einem nach spätestens 100 Kilometern auch die Augen. Tankstellen und Rastmöglichkeiten befinden sich fast ausschließlich abseits der Autobahn und so dümpeln wir im Einzylindertempo gegen den Wind und einen ermüdenden Hitzeschild. Kurz vor Kavala kommt endlich wieder Abwechslung mit neuem Futter für die Augen. Die Route berührt das Thrakische Meer, gestattet Ausblicke auf die Insel Thassos und turnt einige hundert Meter oberhalb des Meeres an der Flanke des Seegebirges entlang. Genug für heute! Wir haben unweit von Nea Peramos einen Campingplatz am Meer geplottet und finden mit dem Camping Paradiso (N40 52.200 // E24 18.846) neben dem Ferienort Nea Iraklitsa ein wahres Paradies. Zwar ist der Campingplatz fest in der Hand von griechischen und bulgarischen Familien, so fest, dass für Transitcamper wie uns nur noch ein, zwei Notplätze bleiben, aber das Drumherum ist geradezu ideal: Restaurant, Strandbar, Liegestühle am Strand, sauberes Wasser und ein sehr gepflegtes Parkgelände mit Palmen und Blumen – hallo, was will man mehr? Viel zu schade für nur eine Nacht…
Kommentar schreiben