Der letzte Tag unser Motorradreise soll uns noch einen Edelstein georgischer Kultur bescheren, die Akademie von Gelati. Mehr geht nicht, denn die
Zeit läuft uns davon und die vier Tage für die Rückreise sind genau gezählt: 3400 km von Batumi nach Hohenlohe, da heißt es beständig am Gas bleiben, zumal wir an den Grenzen sicherlich die eine
oder andere Stunde verlieren werden. An eine Panne mögen wir gar nicht denken ... Georgien muss also unter den Türken leiden, kommt um drei Tage zu kurz und so gilt es mit einem tränenden Auge
auf die Kaukasus-Tour über Mestia zum Wehrdorf Ushguli zu verzichten.
"Seid nicht zu traurig!", hatten die Schweizer Susanne und Roger uns in Dogubayazit getröstet. "Wir waren mit dem Landi dort, haben Stunden für die schlechte Piste
gebraucht und hatten über 30 km nur Puderstaub. Mit dem Motorrad sicherlich kein Vergnügen." Nun gut, Michaela ist es recht, zumal sie bei Off-Road-Einlagen in steilem Gelände sowieso ihre
Bedenken hat, und ich hatte ja bereits Gelegenheit, die Grenzen der vollbeladenen Ténéré zu erfahren. Wie sangen die Stones? You can’t always get what you want.
Mit Gelati als Schlussakkord haben wir eine gute Wahl getroffen. Zehn Kilometer im Nordosten von Kutuisi liegt diese mittelalterliche Akademie und Klosteranlage, malerisch eingebettet in eine sanft Bergwelt mit grünen Laubbäumen. Wir betreten die Anlage durch das Nordtor und sind überrascht von der Größe des Areals und dem guten baulichen Zustand dieser bis ins frühe 12. Jahrhundert zurückreichenden Kulturstätte.
Drei Kirchen, ein separat stehender Glockenturm und ein Akademiegebäude belegen anschaulich das Bemühen des Königs Dawit, einen soliden Grundstein in der kulturellen und spirituellen Entwicklung Georgiens zu setzen. In der Akademie konnten Naturwissenschaften wie Geometrie, Arithmetik und Astronomie studiert werden, während sich die geisteswissenschaftliche Fakultät um Dialektik, Rhetorik und Grammatik bemühte. Wir verbringen eine gute Stunde in der eindrucksvoll restaurierten Gottesmutterkirche, bestaunen die aus verschiedenen Jahrhunderten stammenden Wand- und Deckenfresken, ein noch weitgehend erhaltenes Mosaik in der Apsis, welches die Gottesmutter mit einem segnenden Christus darstellt, und genießen die feierliche Ausstrahlung des Kirchenraumes.
Michaela kauft eine Kerze und gedenkt all jener, die einmal bei uns waren und im Alltag leicht in Vergessenheit geraten. Wir sind beide keine besonders aktiven Christen, aber dem Zauber und der Ruhe entlegener kathedraler Orte können wir uns nie entziehen ...
Als die Straße über Samtredia und Lanchkhuti bei Grigoleti aufs Schwarze Meer stößt, ist es bereits spät am Nachmittag und die Sonne gestattet sich romantische Farbspiele und Spiegelungen im aalglatten Meer. Bis hinab nach Batumi nimmt das Verkehrsaufkommen derart vehement zu, dass wir mit den Georgiern im Stoßstangenkampf liegen und die schönen Szenen und Momente eines sich kräftig entwickelnden Badetourismus kaum richtig genießen können. Da hat etwas begonnen, was eines Tages zu einer wichtigen touristischen Einnahmequelle mit sicheren Arbeitsplätzen werden könnte: kleine Hotels, sehr improvisierte Restaurants, "Bars" und "Cafés", Reste glanzvoller Bäderarchitektur und immer wieder baufällige und dringend renovierungsbedürftige Häuser und Nebenstraßen. Alles ein wenig chaotisch und improvisiert und leider noch zu sehr terrorisiert durch einen lauten und völlig rücksichtslosen Durchgangsverkehr. Aber immerhin – so kann ein Anfang aussehen.
Wir erreichen unser Hotel in Batumi mit dem Sonnenuntergang und können gerade noch ein paar "We made it"-Fotos schießen, da zieht von See her eine dichte Regenwand auf und die Motorräder werden zum Abschluss der Tour gewaschen. Dreiundzwanzig Tage waren wir mit unseren treuen Enduros unterwegs. Eine Reise durch vier Länder und Kulturen, wie sie unterschiedlicher nd anschaulicher nicht hätte verlaufen können. Wir sind durchweg freundlichen und hilfsbereiten Menschen begegnet, die uns mit Neugierde und Interesse entgegentraten. Sei es in der vertrauten Türkei, im christlichen Georgien, im modern-islamischen Aserbaidschan oder in dem mit so vielen Ängsten behafteten traditionell-islamischen Iran. Mit unseren Reiseenduros waren wir stets nah dran, so nah, dass wir den Pulsschlag und das Leben auf der Straße körperlich spüren konnten. 6200 Motorradkilometer haben wir zurückgelegt, ohne Unfall und ohne größere Pannen. Mehr ist zum Tourenfahrerglück nicht nötig. 🍀🍀🍀
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